(07.11.2020) Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Sportpolitik von Bündnis 90/Die Grünen:
Die Mehrheit der Heranwachsenden in Deutschland erfüllt die Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation nicht. Besonders dramatisch trifft dies auf weibliche Jugendliche zu. Kinder und Jugendliche in Deutschland bewegen sich immer weniger und entwickeln als Folge davon immer mehr Übergewicht. Das beeinträchtigt nicht nur die physische, psychische und soziale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, sondern könnte auch zu einer niedrigeren Lebenserwartung führen. [1]
Die Ergebnisse des vor wenigen Tagen erschienenen Vierten Deutsche Kinder- und Jugendsportberichts der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung müssen uns in Politik und Gesellschaft aufhorchen lassen. Politik und Gesellschaft sind gefordert, dieser Entwicklung, dass Kinder und Jugendliche sich zu wenig und immer weniger bewegen, mit wirkungsvollen Maßnahmen entgegenzuwirken. Die Schaffung sowie die Erhaltung von Bewegungsräumen und -angeboten sind dafür die Voraussetzung.
Die im Rahmen des „Lockdown light“ getroffenen Vereinbarungen und Maßnahmen treffen auch den Amateursport – und damit auch die Sport- und Bewegungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche.
Aufgrund der steigenden Covid-19 Infektionszahlen und der zu ca. 75% nicht mehr nachverfolgbaren Infektionsketten war und ist es notwendig, auch den Sportbetrieb in umfangreichem Maße einzuschränken. Im Wettkampf- und Spielbetrieb sind nachweislich Infektionsausbrüche festzustellen gewesen. Eine mehrwöchige Unterbrechung des Spielbetriebs, in dem Sportler*innen und Mannschaften über regionale Grenzen hinweg in Kontakt mit zahlreichen weiteren Sportler*innen kommen, ist im Amateursport unabdingbar gewesen.
Der Infektionsschutz darf jedoch nicht gegen das Gesundheitsrisiko, das aufgrund von Bewegungsmangel entsteht, ausgespielt werden. Der Vierte Deutsche Kinder- und Jugendsportbericht macht uns deutlich, dass der Amateursport – zumindest für Kinder und Jugendliche – vom „Lockdown light“ in eingeschränktem Maße ausgenommen werden sollte. Wir fordern die Landesregierungen bzw. zuständigen Ministerien daher dazu auf, es den Kommunen – nach eigener Analyse des lokalen Infektionsgeschehens – freizustellen, ihre Sportstätten (über den Individualsport hinaus) wieder für den vereinsinternen Sport- und Trainingsbetrieb im Kinder- und Jugendbereich zu öffnen.
Viele Sportvereine haben gemeinsam mit ihren Übungsleiter*innen Hygienekonzepte für ihre jeweiligen Sportarten erarbeitet und gelernt, verantwortungsbewussten Trainingsbetrieb unter Corona-Bedingungen zu gestalten. Als Politik sollten wir den Übungsleiter*innen und Ehrenamtler*innen mehr Vertrauen in der Umsetzung des Trainingsbetriebs schenken. Konkret erwarten wir, dass die Sportvereine sehr zeitnah die Möglichkeit bekommen, in festen Gruppen, in denen die Kontaktnachverfolgung sichergestellt ist, mit einem Maximum in einer Größenordnung von vier bis acht Personen exkl. Übungsleiter*in (Indoor-Sportanlagen) bzw. von zehn bis fünfzehn Personen inkl. Übungsleiter*in (Outdoor-Sportanlagen) zu trainieren. Diese Möglichkeit sollte es zumindest für Kinder bis zum 16. Lebensjahr geben – so wurde sie auch in vereinzelten Bundesländern schon getroffen.
Darüber hinaus sehen wir auch den Schulsport und insbesondere den schulischen Schwimmunterricht in einer so wichtigen Rolle, das auch für diesen umgehend pandemie-gerechte Umsetzungsmöglichkeiten gefunden werden sollten.
[1] https://www.krupp-stiftung.de/vierterkinderundjugendsportbericht/
Rupy David, Felix Bach, Natascha Kauder und Dennis Helmich,
Sprecher*innenteam der Bundesarbeitsgemeinschaft Sportpolitik
Bündnis 90/Die Grünen
Weitere Unterstützer*innen von Bündnis 90/Die Grünen:
Anne Johannsen, Sachsen
Andreas Tesche, Mecklenburg-Vorpommern
Astrid Rothe-Beinlich (MdL), Thüringen
Marcel Krämer, Bayern
Nicole Ludwig (MdA), Berlin
Susanne Menge (MdL), Niedersachsen
Kassem Taher Saleh, Sachsen
Bernd Gottwald, Nordrhein-Westfalen
Behzad Borhani, Hessen
Luca Wernert, Baden-Württemberg
Sibylle C. Centgraf, Berlin
Gabriele Schnellrieder, Niedersachsen
Anja Schillhaneck (Ex-MdA), Berlin
Timo Spors, Nordrhein-Westfalen
Jakob Rödl, Berlin
Erhard Grundl (MdB), Bayern
Julian Joswig, Rheinland-Pfalz
Tjark Melchert, Niedersachsen
Malte Gallée, Bayern
Michael S. Langer, Niedersachsen
Lars Maximilian Schweizer, Baden-Württemberg
Jan-Peter Jannack, Niedersachsen
Max Marius Hansen, Schleswig-Holstein
Jan-Gerrit Keil, Berlin
Norbert Gütlein, Bayern
Hans-Jürgen Kuhn, Berlin
Beate Barabasch, Nordrhein-Westfalen
Christoph Stolzenberger, Nordrhein-Westfalen
Michael Vesper (Minister a. D.), Nordrhein-Westfalen
Jörg Heinemann, Rheinland-Pfalz
Astrid Bialluch-Liu, Berlin
Paula Schmidt, Berlin
Uschi Germer, Hamburg
Axel Müller, Nordrhein-Westfalen
Daniel Köbler (MdL), Rheinland-Pfalz
Ergänzungen:
Aus Schuleingangstests wissen wir, dass bundesweit mehr und mehr motorische und sprachliche
Schwächen bei Kindern festgestellt werden und vielfältige Initiativen nötig sind, um dieser
Entwicklung entgegenzuwirken. Denn nachweislich sind viele positive Auswirkungen auf die
Gesundheit und auf die gesamte Persönlichkeitsentwicklung bei Kindern erkennbar, die schon vor
dem Eintritt in die Grundschule an Bewegungs- und Sportangeboten teilgenommen haben. Diese
werden jedoch aktuell weiter eingeschränkt.
Zudem wird es immer schwieriger, Kindern und Jugendlichen zu erklären, warum sie in voll
besetzten Klassen eng für viele Stunden im Schulunterricht zusammen sitzen dürfen, aber
nicht in kleinen Gruppen – unter in der Regel besseren Hygienekonzepten – im Verein Sport treiben dürfen. (Natascha Kauder, Hessen)
Darüber hinaus gibt es auch im Erwachsenenbereich ein hohes Defizit bei der täglichen Bewegung, welches während der jetzigen Situation nicht so stark eingeschränkt werden sollte. Auch hier ist das Sporttreiben in kleinen Gruppen unter Anleitung und ohne Körperkontakt bzw. mit ausreichend Abstand möglich, z.B. bei Übungen zur Stärkung und Kräftigung der Muskulatur, Übungen zur Beweglichkeit oder beim Ausdauertraining. Gerade im Bereich des Reha- und Senior*innensports, bei dem gezieltes Training zur Verbesserung akuter und chronischer Schmerzen nötig ist, sollte dieses Angebot ermöglicht werden. Daher sollten nicht nur Sportstätten, sondern auch Fitnessstudios, die mit wirksamen Hygienekonzepten eine sichere Trainingsumgebung bieten, zu diesem Zwecke wieder geöffnet werden. (Anne Johannsen, Sachsen)
In den vergangenen Wochen haben sich bei mir viele Vereine und Sportler*innen mit dem Wunsch gemeldet, unter gewissen Bedingungen trainieren zu dürfen. Das möchte ich unbedingt unterstützen, denn sie alle haben in den letzten Monaten der Pandemie mit viel Mühe – und größtenteils ehrenamtlich – Hygienekonzepte erstellt, um Kindern und Jugendlichen Bewegung und soziale Kontakte zu ermöglichen. Maßnahmen wie die Umstellung auf kontaktloses Training, der Einsatz von Mundnasenschutz oder auch das Schließen von Umkleide- und Duschräumen sind von den Verantwortlichen im Sport vorbildlich umgesetzt worden. Die neuen weitreichenden Maßnahmen erkennen dieses Engagement nicht an. (Timo Spors, Nordrhein-Westfalen)
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