Mehr Frühling wagen – Risiko minimieren, Sport und Bewegung fördern


(14.04.2021) Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Sportpolitik von Bündnis 90/Die Grünen:

Seit über einem Jahr leben wir auch hierzulande mit Corona. Aktuell befinden wir uns in einer dritten Welle von Infektionen, und trotz langsam fortschreitender Impfkampagne ist ein Ende erst in weiter Ferne in Sicht.

Aktuell steht die Neuregelung des Infektionschutzgesetzes auf Bundesebene und damit eine Vereinheitlichung von Regelungen an. Den Kerngedanken begrüßen wir. Gleichzeitig ist dies die Gelegenheit, endlich die Regelungen und notwendigen Einschränkungen zur Eindämmung der Pandemie an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischen Erfahrungen auszurichten.

Die seit einem Jahr bestehenden weitgehenden Verbote bezüglich gemeinsamer Aktivitäten betreffen Sport und Bewegung massiv. In der Folge fehlen die gesundheitsfördernden Eigenschaften von Bewegung und Sport auf körperlicher und psychischer Ebene. Damit wird auch die Chance verschenkt, Sport und Bewegung zu nutzen, um den erheblichen Belastungen durch die Einschränkungen und Anpassungen an die Pandemielage entgegenzuwirken.

Das Ende der kalten Jahreszeit führt dazu, dass sich Vieles nach draußen verlagert. Aus der Perspektive einer gemeinsamen Pandemiebewältigung ein großer Vorteil. Das zeigt die Erfahrung aus dem letzten Herbst: Als wegen Kälte und Herbstwetter alles wieder begann, in Innenräumen stattzufinden, schnellten die Infektionszahlen in die Höhe. Und dies geschah, ohne dass sich an den zugrundeliegenden Regelungen zum Infektionsschutz viel geändert hätte. Der Frühling bringt nun die Chance, die Tendenz der steigenden Zahlen umzukehren. Sport und Bewegung müssen Teil davon sein und die Menschen verantwortungsvoll nach draußen bringen.

Sport und Bewegung und psychisches Wohlergehen
Die psychologischen Belastungen der Coronapandemie sind in allen Altersgruppen außerordentlich. Die entlastende Wirkung von Sport und Bewegung ist weithin bekannt und anerkannt. Auch für die aktuelle Pandemielage ist dies durch Studien nachgewiesen.

Für den Sport heißt dies: Er ist ein entscheidender Baustein, um körperlich und geistig gesund durch die Pandemie zu kommen. Dort, wo Infektionsrisiken gering zu halten sind, sind Sport und Bewegung als Bestandteil einer Pandemiebewältigungsstrategie zu betrachten. Nur ein gesunder Körper ist in der Lage schwere Krankheitsverläufe zu vermeiden und die Folgen der Erkrankung zu minimieren. Dies gilt nicht nur besonders für herausgehobene Bereiche wie den Rehasport, sondern grundsätzlich für alle sportlichen Angebote. Unser Leitgedanke ist: Wenn es infektionssicher machbar ist, muss es möglich gemacht werden.

Gesichertes wissenschaftliches Wissen zu Risiko in Innenräumen und bei Außenaktivitäten in Regelungen umsetzen
Mittlerweile besteht über sehr weitgehende wissenschaftliche Einigkeit über den Infektionsweg beim SARS-CoV2-Virus: Die Mensch-zu-Mensch-Übertragung erfolgt über Tröpfchen in der Luft und Aerosole.

Das bedeutet für den Sport: vergleichbar sicheres Sporttreiben ist draußen möglich – vorausgesetzt, dies geschieht nicht in großen, eng gepackten Gruppen. Auch Mannschaftssport wie Fußball, Gruppentraining wie in der Leichtathletik etc. ist unkompliziert möglich, wenn bestimmte Vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden. Hygienekonzepte dafür sind vielfach bereits vorhanden. Zentrale Voraussetzung ist, dass die AHA-Regeln auch weiter und ggf. auch während des Sporttreibens eingehalten werden, dass z. B. Trainingsbesprechungen mindestens auf Abstand oder mit Mund-Nasen-Maske abgehalten werden, dass es keine größeren Gruppenbildungen beim Warten gibt oder im Mannschaftssport mit Maske gespielt wird. Die üblichen Funktionsräume wie Umkleiden und Vereinsräume können nicht genutzt werden hier ist, wie in allen Innenräumen, ist das Infektionsrisiko nach wie vor zu hoch. In den allermeisten Sportarten sind Umkleiden zur Sportausübung jedoch nicht zwingend nötig, da sich oft zu Hause umgezogen werden kann. Die mittlerweile breit verfügbaren Selbsttests sind in die lokalen Hygienekonzepte integrierbar und für Übungsleiter:innen wie für Sportler:innen selbst sinnvoll nutzbar zu machen.

Kinder- und Jugendsport und Schulsport
Für Kinder und Jugendliche jeden Alters sind Sport und Bewegung entwicklungsnotwendig. Auch deswegen sind Bewegungsangebote bereits in die Bildungsprogramme der vorschulischen Angebote integriert und ist Sport fest im Schulcurriculum verankert. Es liegt also nahe, Angebote des Kindersports (also bis zur Vollendung des 17. Lebensjahres) bevorzugt stattfinden zu lassen.

Das bedeutet für den Sport: Bewegungsangebote für Kinder und Jugendliche müssen grundsätzlich möglich sein. Die aktuellen Ausnahmeregelungen in den Verordnungen der Bundesländer für Gruppen von Kindern bis 12 respektive 17 Jahren sind sinnvoll und sollten auf jeden Fall nicht zurückgedreht werden, sondern vielmehr bundesweit vereinheitlicht werden.

Die Deutsche Sportjugend (dsj) hat einen Vier-Stufen-Plan für den Kinder- und Jugendsport während der Corona-Pandemie vorgelegt, den wir im Grundsatz für geeignet halten, um Bewegungsangebote für Kinder und Jugendliche differenzierter je nach Pandemielage zu ermöglichen.

Und: Auch unter Bedingungen von Wechselunterricht in Präsenz oder auch schulisch angeleitetem Lernen zu Hause (Distanzunterricht) muss Sport weiter Teil von Schule sein, soweit er mit kommunaler Unterstützung an der frischen Luft durchgeführt werden kann. Um Kohorteneffekte bei der Schwimmfähigkeit zu vermeiden, sollte geprüft werden, inwieweit zumindest Freibäder für den Schwimmunterricht auch während der Pandemie genutzt werden können.

Vereine, Schulen, Sportwirtschaft als Partner im Infektionsschutz begreifen.
Der Sport hat im letzten Jahr in der kurzen Phase der Lockerung der Einschränkungen gezeigt, wie verantwortungsvoll er mit der Situation umgeht. Lokal angepasste Hygienekonzepte haben ihren Anteil an der Eindämmung der Pandemie geleistet; gleichzeitig haben viele Menschen die Vorteile von Sport und Bewegung nutzen können. Für uns ist daher klar: Vereine, Schulen, Sportgruppen, Sportwirtschaft sind seit Beginn der Pandemie ein verlässlicher Partner in der Pandemiebekämpfung. Mit klaren, nachvollziehbaren und gut begründeten Regeln funktioniert Sport schon jetzt, und dass bei einem erheblich geringeren Risiko als zum Beispiel die Arbeit am Büroarbeitsplatz.

Gerade ehrenamtliche Strukturen sind kaum in der Lage, mit den sich teilweise im Tagesrhythmus ändernden Verordnungen Schritt zu halten und die damit verbundenen hohen Investitionen zu tragen. Zudem unterscheiden sich die Regelungen mindestens von Bundesland zu Bundesland. Hier muss die Chance ergriffen werden, einheitliche und dauerhaft gültige Regelungen zu schaffen.

Für die Sportwirtschaft ist die Lage nach wie vor vielfach existenzbedrohend. Das gilt für Fitness- und Yoga-Studios wie Tanzschulen und Reitbetriebe, aber auch privatwirtschaftliche Kampfsportschulen und andere Angebote. Um diese Angebote für die Zeit nach der Pandemie zu sichern, muss nicht nur die wirtschaftliche Hilfe gewährt werden. Anträge auf Sondernutzung von öffentlichem Straßenland oder Parks, um Angebote aus dem Bereich der Sportwirtschaft umzusetzen, sollten daher von dem Kommunen bevorzugt betrachtet werden. Es braucht kommunale Konzepte, um den verschiedenen Träger:innen des Sporttreibens gleichermaßen Zugriff auf öffentliche Sportflächen zu geben. Außerdem müssen solche Konzepte gerechte und sichere Mobilitätslösungen finden, die eine Teilnahme an Sportunterricht oder Sportangeboten erlauben und auf die jeweilige Situation vor Ort zugeschnitten sind.

Zur Sportwirtschaft gehört auch die große Zahl von solo-selbstständigen Trainer:innen und Sportlehrer:innen. Viele Sportarten sind insbesondere im Leistungsbereich sowie im Erwachsenensport ohne diese nicht denkbar. Die Wirtschaftshilfen von Bund und Ländern für diesen Personenkreis dürfen nicht allein auf Betriebskosten begrenzt sein, damit auch sie die Pandemiezeit wirtschaftlich überleben können und nicht dem Sport den Rücken kehren müssen.

Wir begrüßen die „Coronahilfen Profisport“ des Bundes, die u.a. Ticketeinnahmeausfälle von Sportvereinen und Unternehmen im professionellen und semiprofessionellen Wettbewerb teilweise kompensieren, und fordern eine Ausweitung auf Vereine und Unternehmen der 4. Ligen des Männerfußballs (Regionalligen), die teils mindestens als semiprofessionell einzustufen sind, und im besonderem Ausmaß von Ticketeinnahmen abhängig sind.

Sonderfall Tiere im Sport
Dort, wo Tiere zum Sport gehören (Reitsport, Hundesport) ist neben dem Infektionsschutz der Menschen zu berücksichtigen, dass auch das Tierwohl gewährleistet sein muss. Das betrifft neben der Versorgung der Tiere auch ihre reine Bewegung sowie andere Aktivitäten, die das Tierwohl sichern. Das Infektionsschutzgesetz sollte hier Rechtssicherheit schaffen, in dem klar geregelt ist, dass Sport mit Tieren im Rahmen des Tierwohls nicht verboten ist.

Die Sportgemeinschaft darf weiter Vorbild sein
Athlet:innen waren bei aller Menschlichkeit schon immer wichtige Vorbilder in der Gesellschaft. Dabei haben tausende Vereine in den letzten Monaten gezeigt, welche harten und existenzbedrohenden Maßnahmen sie mitgetragen, um die Gesellschaft zu schützen. Die Vorbildfunktion verpflichtet den Sport weiterhin besonders, verantwortungsvoll mit den hier geforderten Freiheiten umzugehen und die Auswirkung seiner Handlungen auf die Infektionsschutzdisziplin der Bevölkerung zu reflektieren. Wer die AHA-Regeln nicht konsequent umsetzt, bestärkt eine zunehmend sichtbare Laissez-Faire-Haltung. Wir vertrauen dem Sport, sich dieser Verantwortung bewusst zu sein.

Es ist offensichtlich, dass geschlossene Stadien und Hallen für Profi-Sportler:innen und Fans gleichermaßen bedrückend sind und Vereine, Ligen und Sportstättenbetreiber:innen unter starken finanziellen Einbußen zu leiden haben. Gleichwohl müssen wir alle noch etwas länger aushalten: Eine Öffnung für den Zuschauer:innenbetrieb können wir vor dem Hinblick auf die aktuellen Zahlen nicht befürworten. Sobald Infektionszahlen und Impfschutz es zulassen, muss eine Öffnung der Sportstätten auch für Besucher:innen ergebnisoffen diskutiert werden.

Rupy David, Felix Bach, Natascha Kauder und Dennis Helmich,
Sprecher*innenteam der Bundesarbeitsgemeinschaft Sportpolitik
Bündnis 90/Die Grünen

Weitere Unterstützer*innen von Bündnis 90/Die Grünen:
Anja Schillhaneck (Ex-MdA), Berlin
Hans Jagnow, Berlin
Nicole Ludwig (MdA), Berlin
Mike Lautenschläger, Nordrhein-Westfalen
Jörg Heinemann, Rheinland-Pfalz
Angela Fechner, Hamburg
Gabriele Schnellrieder, Niedersachsen
Uschi Germer, Hamburg
Jan Kohlhepp, Bayern
Anne Johannsen, Sachsen
Bernd Gottwald, Nordrhein-Westfalen
Jochen Sander, Nordrhein-Westfalen
Astrid Rothe-Beinlich (MdL), Thüringen
Jan-Gerrit Keil, Berlin
Maximilian Deisenhofer (MdL), Bayern
Andreas Tesche, Mecklenburg-Vorpommern
Julian Joswig, Rheinland-Pfalz
Behzad Borhani, Hessen
Malte Lindenmeyer, Niedersachsen
Boris Mijatovic, Hessen
Andrea Gabriele Behnke, Berlin
Kerstin Selinski-Spohler, Bremen
Gordon Schnepel, Niedersachsen
Ines Kummer (MdL), Sachsen
Astrid Bialluch-Liu, Berlin
Marcel Krämer, Bayern
Markus Ipolt, Thüringen
Volker Goll, Bayern
Beate Barabasch, Nordrhein-Westfalen
Erhard Grundl (MdB), Bayern
Nina Wellenreuther, Baden-Württemberg
Lars Hampel, Niedersachsen
Helmut Blöcker, Niedersachsen
Monika Lazar (MdB), Sachsen
Andreas Hoffmann, Niedersachsen
Ann-Kristin Hartz, Niedersachsen
Anne Kowatsch, Baden-Württemberg
Özcan Mutlu (Ex-MdB), Berlin
Ina Jacobi, Niedersachsen
Michael Jahn, Baden-Württemberg
Meik Laufer, Berlin
Greta Garlichs, Niedersachsen
Susanne Menge (MdL), Niedersachsen
Hans-Jürgen Kuhn, Berlin

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