Demokratisch, transparent und klimaneutral – ein GRÜNER Weg für Sportgroßveranstaltungen

  • Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft Sportpolitik, beschlossen am 06.03.2021

Bündnis 90/Die GRÜNEN begrüßen die Durchführung von Sportgroßveranstaltungen sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern, wenn sie nachhaltigkeitsorientierten Kriterien entsprechen. Sportgroßveranstaltungen schaffen einzigartige Erlebnisse für Athlet*innen und Zuschauer*innen und fördern sportlichen Wettstreit und persönliche Begegnungen. Neben den ideellen Werte der Veranstaltungen kann auch hochwertige Sportinfrastruktur für die Bürger*innen vor Ort geschaffen werden. Sportgroßveranstaltungen können zugleich Impuls, Vorbild und Baustein für die zukunftsfähige, nachhaltige Stadt-, Stadtteil- beziehungsweise Regionalentwicklung sein. Um die Reichweite der verschiedenen Veranstaltungen zu erhöhen und vor allem bisher weniger sichtbaren Sportarten mehr Anerkennung und Öffentlichkeit zu verschaffen, soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Vielfalt der Sportarten und Themen in seiner Berichterstattung wiedergeben.

Das gemeinsame Ziel von Sportveranstalter*innen und -organisationen sowie von Bund, Ländern, Kommunen und der Sportwirtschaft muss sein, große und kleine Sportveranstaltungen so zu planen und durchzuführen, dass sie einer generationenübergreifenden Verantwortung für eine ökonomisch, ökologisch und sozial tragfähige Entwicklung in der Stadt, als auch im ländlichen Raum, gerecht werden. Diese Verantwortung anzunehmen bedeutet, Sport-Events nur dort abzuhalten und Sportstätten zu errichten, wo die klimatischen Bedingungen mit den Anforderungen an die Disziplin in natürlichem Einklang stehen. Die Erhaltung der sozialen und natürlichen Lebensgrundlagen muss auch bei Sportveranstaltungen handlungsleitend sein.

Die Idee der Nachhaltigkeit erfordert in allen Bereichen ein Umdenken zugunsten langfristiger Tragfähigkeit und gerechter Verteilung von Lasten, Chancen und Risiken. Gerade durch das Medium Sport kann das Leitbild der Nachhaltigkeit in der Breite der Gesellschaft veranschaulicht und verankert werden. Unter besonderer Beachtung steht dabei die Ausrichtung von Großveranstaltungen in Deutschland.

Deutschland als nachhaltigen Austragungsort entwickeln

Die Bundesregierung hat sich offiziell im Rahmen der 5. Weltkonferenz für Sportminister*innen 2013 mit über 120 weiteren Staaten der UNESCO zur Nachhaltigkeit von Sportgroßveranstaltungen bekannt und alle Interessengruppen aufgerufen, sicherzustellen, dass Investitionen in Infrastrukturen und Sportstätten im Einklang mit sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und ökologischen Nachhaltigkeitsanforderungen stehen. Grundlage aller Betrachtungen zur Nachhaltigkeit sind die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Diese Zusage muss eingelöst werden: Als Selbstverpflichtung für alle Sportveranstaltungen, von allen Akteur*innen auf allen Ebenen.

Ein Beschluss der Sportminister*innenkonferenz der Länder sieht vor, Leitlinien, Handlungskonzepte und ethische Standards zu entwickeln. Das Bundesministerium des Innern für Bau und Heimat lässt mit dem Deutschen Olympischen Sportbund und anderen eine Nationale Strategie Sportgroßveranstaltungen entwickeln, um Bedingungen für zukünftige Bewerbungen und Unterstützungsmaßnahmen seitens des Bundes festzulegen. Die Umsetzung von gemeinsam formulierten Leitlinien muss die Grundbedingung für die Durchführung einer Sportgroßveranstaltung und öffentlicher Förderung sein. Dabei ist zu beachten, dass Anzahl und Dichte von Sportevents im Wettkampfkalender der Sportarten die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Athlet*innen in den Mittelpunkt stellen. Die langwierigen Abstimmungen dürfen die sozial, wirtschaftlich, kulturell und ökologisch notwendigen Nachhaltigkeitsmaßnahmen für die unmittelbar bevorstehenden und bereits in der Planung befindlichen Großveranstaltungen (unter anderem European Championships Munich 2022, Special Olympics 2023, UEFA Euro 2024 [Männerfußball], Universiade 2025 ) der kommenden Jahre nicht einschränken.

Autonomie des Sport beachten

Bündnis 90/Die GRÜNEN respektieren die Autonomie des Sports bei der Vergabeentscheidung von Großveranstaltungen. Die Sportverbände und nationalen Ligen sind daher aufgefordert bei der Vergabe in andere Länder, neben der möglichst klimaneutralen Durchführung auf die Einhaltung der Menschenrechte, von Good Governance, einer angemessenen Bürgerbeteiligung sowie der Doping- und Korruptionsbekämpfung zu achten. Internationalen Verbänden und Sportorganisationen kommen bei Sportgroßereignissen mit entsprechender Öffentlichkeitswirkung eine besondere Verantwortung beim proaktiven Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen zu. Ein klares, in den Statuten verankertes Bekenntnis zu den universellen Menschenrechten sowie eine auf den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen basierende Menschenrechtsstrategie mit einem verbindlichen Regelwerk, das Athlet*innen schützt und Menschenrechtsverletzungen in Kandidatenländern für Sportgroßereignisse sind als notwendiges Ausschlusskriterium zu verankern. Absichtserklärungen sind nicht ausreichend.

Werden diese Kriterien in offenkundiger Weise missachtet, sollten die Mitglieder der deutschen Delegation in Erwägung ziehen, von einer Teilnahme abzusehen. Bei der Teilnahme in anderen Ländern ist darauf zu achten, dass die deutsche Delegation möglichst klimaneutral agiert. Gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen sind die Mitglieder der deutschen Delegation auf die Aufenthalte im Ausrichterland vorzubereiten.

Die Meinungsfreiheit von Athlet*innen darf durch Sportverbände und -organisationen auf keinen Fall pauschal eingeschränkt werden. Athlet*innen sollten sich jederzeit und öffentlich zu den auch von Sportverbänden proklamierten Werten einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft bekennen können und diese verteidigen dürfen, indem sie Verstöße benennen oder die Einhaltung der Menschenrechte einfordern. Gleichzeitig sollen Athlet*innen davor geschützt werden, dass Meinungsäußerungen zum Ausschluss von Wettkämpfen, anderen Einschränkungen in der Ausübung ihres Sports oder sonstigen Nachteilen führen.

Forderungen

  • Erfüllung von spezifischen Mindestkriterien der internationalen Sportverbände, beispielsweise durch „Corporate Social Responsibility“-Regeln und -Strukturen in Satzungen (Anti-Doping, Good-Governance-Strukturen, Achtung der Menschenrechte, Anti-Korruptionspolitik, Schutz von Whistleblower*innen, Förderung von Frauen in Führungsgremien, Beteiligungs- und Mitspracherechte der Athlet*innen und Trainer*innen)
  • Vermeidung von klimaschädlichem Verhalten, in einer Übergangszeit bis 2026 gegebenenfalls Kompensation
  • Ausarbeitung einer internationalen Konvention für die Vergabe von Sportgroßveranstaltungen in der EU unter Miteinbeziehung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Menschenrechtsorganisationen sowie Umwelt- und Naturschutzverbänden und systematischer Bürger*innenbeteiligung.
  • Steuervermeidung entgegentreten: Harmonisierung des Steuerrechts in der EU, beispielsweise der Verzicht auf Steuerbefreiungen nach § 50 Absatz 4 Einkommensteuergesetz in Deutschland – stattdessen Gewährung von Förderungen
  • Schaffung einer international geltenden Richtlinie innerhalb der EU zur Planung und Durchführung von Großveranstaltungen, inklusive Festlegungen, wie Fehlverhalten von verantwortlichen Personen und Institutionen in Sport und Politik zu sanktionieren sind.
  • Erarbeitung von Richtlinien (Code of Conduct) zur Harmonisierung von Reisen von hochrangigen Vertreter*innen der EU in Ausrichter*innenländer

Klare Ansprüche für eine faire Partnerschaft

Innerhalb der Autonomie des Sports ist die Entscheidung zur Ausrichtung in Deutschland eine Angelegenheit des organisierten Sports. Es ist somit in der Verantwortung der Sportverbände unverhältnismäßigen Ausschreibungskriterien frühzeitig zu begegnen, um Größe und Anzahl an Sportstätten und sonstigen Aufwand auf ein gesellschaftlich akzeptables Maß begrenzen. Bei der Vergabe von öffentlichen Fördermitteln sollen bundeseinheitliche Voraussetzungen gelten und die in Satzungen und Ordnungen verankerten Grundsätze müssen innerhalb der beteiligten Sportverbände angewendet werden.

Forderungen

  • Anforderung Sportverbände: „Corporate Social Responsibility“-Regeln und -Strukturen in Satzungen (Anti-Doping, Good-Governance-Strukturen, Anti-Korruptionspolitik, Förderung von Frauen in Führungsgremien, Beteiligungs- und Mitspracherechte der Athlet*innen und Trainer*innen, Vermeidung Gender Pay-Gap, Ermöglichung von Sportbetrieb für alle Gender)
  • vollständige Transparenz bei Klimaschutz und Finanzierung
  • Sportorganisationen im dauerhaften Ligabetrieb: Entwickelung von Science Based Targets mit dem Ziel einer Klimaneutralität im Scope 3 bis 2030. Zu berücksichtigen sind sowohl die Content-Produktionen von Rechteinhaber*innen, als auch internationale Vermarktungsaktivitäten.
  • In der föderal abgestimmten _Nationale Strategie Sportgroßveranstaltungen_ ist sportliche Vielfalt und die Berücksichtigung von Wettkämpfen für Personen mit Einschränkungen zu berücksichtigen. Die Veranstaltungskategorien sind zu unterscheiden nach ihrer Zielgruppe bei Athlet*innen und Publikum:
    – international
    – national
    – lokal
    – sowie nach der Zahl der Aktiven:
    bis 1 000 Personen (Mikro-_Sportgroßveranstaltungen),
    bis 6 000 Personen (Medium-_Sportgroßveranstaltungen),
    größer als 6 000 Personen (Makro-_Sportgroßveranstaltungen)
  • Besonderen Raum nehmen regelmäßige Veranstaltungen mit hohem Zuschauer*innenaufkommen (nationale Ligen) oder mehrtägige Veranstaltungen, gegebenenfalls an mehreren Austragungsorten, ein (Mega-_Sportgroßveranstaltungen).

Mega-Sportgroßveranstaltungen als klimaneutrale Aushängeschilder

Je nach Kategorisierung einer Sportveranstaltung sind die nachstehenden Ansprüche verbindlich und nachprüfbar umzusetzen. Bei Mega-Sportgroßveranstaltungen (Olympia, Fußball-Europameisterschaften und ähnlichen) sind die Anforderungen komplett umzusetzen, bei Mikro-Sportgroßveranstaltungen treffen einige Aspekte nicht zu. Den zuständigen Genehmigungsbehörden und Förderinstanzen obliegt die Anpassung an die jeweilige Veranstaltungsdimension.

Das etablierte Verfahren einer verbindlichen Abstimmung aller Wahlberechtigt*innen in den betroffenen Bundesländern vor dem Start einer Bewerbung zu olympischen Spielen ist fortzuführen.

Transparenz & Partizipation
Frühe und auf Dauer angelegte Bürger*innen – und Athlet*innenbeteiligung und bei Bedarf sachbezogene Einbindung von Nichtregierungsorganisationen bereits im Planungsprozess, volle Transparenz bei Personal- und Sachkosten. Mindestlohn auch für Beschäftigte von Subunternehmer*innen.

Soziale Verantwortung & sportlicher Nachwuchs
Erlöse für gemeinnützige Anliegen einsetzen. Gesellschaftliche Reichweite zur Proklamation von gesellschaftlichen Zielen nutzen. Verknüpfung von Elite- und Nachwuchsveranstaltungen für Kinder und Jugendliche. Für den Amateur- und breitensport an den Austragungsorten soll ein möglichst langlebiger Nutzen gestiftet werden.

Bauen & Ressourcen
Instandsetzung und Modernisierung sind gegenüber dem Neubau prioritär, vorhandene Anlagen ggf. anzupassen. Vermeidung außereuropäischer Baustoffe. Natürliche Baustoffe mit Zertifikat bevorzugen. Recyclingfähige Baustoffe bevorzugen. Barrierefreiheit beachten. Bei Spezialimmobilien: Nachnutzung mitdenken und organisieren. Temporäre Bauten mitdenken. Energiegewinnung, Energievermeidung und Grauwassernutzung mitdenken. Dach- und Fassadenbegrünung. Anschluss an ÖPNV. Hochwertige Fahrradparkplätze.

Energie & Klimaschutz
Klimaneutraler Betrieb. Energieeffizienz im höchsten Standard. Wärme aus Abwärme gewinnen. 100 % erneuerbare Energien. Kompensation von nicht-klimaneutralen Anlagen.

Abfall
Abfallvermeidung durch Mehrweggeschirr, Pfandsysteme, Verwendung von Recyclingmaterial, Wertstofftrennung.

Wasser
Integrierte Planung von Flächen für Großereignisse insbesondere unter Berücksichtigung der Klimaanpassung (Hitzevorsorge und Starkregenereignisse), einer Grauwassernutzung und dezentraler Regenentwässerung, alternativen zum WC.

Catering & Merchandising
Regional erzeugte Nahrungsmittel, gesunde Nahrungsmittel, Kennzeichnung von Nahrungsmitteln, fair gehandelte Nahrungsmittel, Bio-Nahrungsmittel, Cateringreste an lokale Bedürftige weitergeben, fair hergestellte und gehandelte Produkte, Recyclingmaterial verwenden, verpackungsarm verkaufen, Teilnehmer*innenkomunikation papierlos durchführen, Medaillen aus nachwachsenden Rohstoffen oder Recyclingmaterial.

Natur & Landschaft
Flächenverbrauch begrenzen: besser höhere Bauten als Bodenversiegelung. Ausgleichsflächen vor Wettkampfbeginn herstellen.

Verkehr & Lärm
Klimaneutrale An- und Abreise aller Beteiligten (Athlet*innen, Schiedrichter*innen, Organisator*innen, Mitarbeiter*innen, Ehrengäste, Publikum). Verzicht auf Flugreisen innerhalb Deutschlands bzw. auf Strecken unter 400 km ins europäische Ausland. Eignung von Sportstätten anhand der vorhandenen ÖPNV-Anbindung prüfen, Nahverkehrsnutzung in Eintrittskarten inkludieren. Nahverkehr auf Sportgroßveranstaltungen ausrichten. Geeignete Sportstätten nach ÖPNV-Anbindung auswählen. Kombination mit kommunalen autofreien Tagen.

Nachhaltigkeitsmanagement
In allen Phasen einer Großveranstaltung ein Nachhaltigkeitsmanagement als integralen Bestandteil der Veranstaltungsplanung und -begleitung verankern und die personellen Voraussetzungen schaffen, unabhängige Gutachter*innen einbinden und bestehende Baustandards (DGNB) anwenden.

Barrierefreiheit umsetzen
Alle Veranstaltungen sind barrierefrei zu gestalten. Zugang und Nutzung für Athlet*innen und Publikum sowie die Kommunikation sollen unter konsequenter Berücksichtigung des Zwei-Sinne-Prinzips barrierefrei gestaltet werden – in leichter Sprache und Transkriptionsfunktion

Forderungen

  • Die Klimabilanz jeder Sportgroßveranstaltung ist nach einem standardisierten Verfahren vor Beantragung öffentlicher Förderung oder Genehmigungen vorzulegen.
  • Bis 2030 können in jedem Kalenderjahr 15 % weniger klimaschädliche Auswirkungen kompensiert werden.
  • Ab 2030 sind alle Sportgroßveranstaltungen in Deutschland klimaneutral auszurichten.
  • In allen Phasen einer Sportgroßveranstaltung ist die vollständige Transparenz bei Klimaschutz und Finanzierung sicherzustellen.

Autor*innen (Koordination und Mitwirkung):

Katharina Griesel, Landesverband Hessen
Oliver Camp, Landesverband Hamburg
Beppo Brem, Landesverband Bayern
Natascha Kauder, Landesverband Hessen
Jan-Gerrit Keil, Landesverband Berlin
Josefine Paul, Landesverband Nordrhein-Westfalen
Kassem Taher Salah, Landesverband Sachsen
Lars Maximilian Schweizer, Landesverband Baden-Württemberg
Michael Vesper, Landesverband Nordrhein-Westfalen

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