- Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft Sportpolitik, beschlossen am 12.12.2020
Nachhaltigkeit im Sport ist einerseits eine Selbstverständlichkeit: Beim Sport bewegen wir uns gern in freier Natur, genießen die frische Luft im Wald, auf dem Wasser oder im Park nebenan. Ökologische Aspekte können daher oft sogar als Grundvoraussetzung des Sporttreibens verstanden werden. Auch soziale Nachhaltigkeit wird im Sport gelebt, wenn wir es schaffen, Menschen unter dem Dach des Sports unabhängig von Alter, Herkunft, Hautfarbe, körperlicher, geistiger oder psychischer Verfasstheit, Geschlecht und sexueller Orientierung zu versammeln und dabei noch unsere Gesundheit zu fördern. Und ökonomische Nachhaltigkeit wird etwa dort gezeigt, wo gemeinnützige Vereine die Vereinskasse so führen, dass auch derNotgroschen für schlechte Zeiten bereit liegt, ökologische Sanierungen erfolgen und sozial benachteiligte Gruppen sich den Mitgliedsbeitrag leisten können.
Umgekehrt aber stellen wir allzu oft fest, wie Nachhaltigkeit und Sport gar nicht zusammen passen: vom Kunstrasen mit Mikroplastikeintrag in die Umwelt bis zum Einweggeschirr bei der Vereinsfeier, von der elitären Clubmitgliedschaft bis zu Sportartikeln, die unter menschenunwürdigen Umständen in Entwicklungsländern hergestellt werden, gibt es Tausende Beispiele, an denen sich zeigt, dass wir mit dem Sport der Natur und ganzen Gesellschaften Schaden zufügen können.Zudem gibt es Sportarten, die an sich schon wenig nachhaltig zu sein scheinen, wie etwa den Motorsport. Und auch der Spitzensport mit seiner eigenen technologischen Maximierungs-, Vermarktungs- und Konsumlogik, die in einigen Bereichen besonders ausgeprägt ist, macht Nachhaltigkeit zu einem ausgesprochen problematischen Begriff, da ervon vornherein den Interessen der handelnden Akteur*innen und der Natur entgegenzustehen scheint und höchstens zum Greenwashing dient.
Was wir daher als Bündnis 90/Die Grünen brauchen, ist ein Begriff von nachhaltiger Sportentwicklung. Die folgenden Aspekte und Forderungen sollen uns dem ein Stück weiter und uns in einen Austausch mit allen hier betroffenen Akteur*innen bringen.
Nachhaltige Sportstätten: Wo treiben wir morgen Sport?
Bei der Umstellung auf nachhaltige Betriebskonzepte und Bauarten von Sportanlagen können 20-30%, in Einzelfällen sogar bis zu 60% an natürlichen Ressourcen eingespart werden. Diese Einsparungen können natürlich durch Rebound-Effekte (etwa wenn eine ökologisch vermeintlich effizientere Anschaffung getätigt wird, obwohl die alten Produkte noch funktionieren) wieder wettgemacht werden, aber in der Regel wirkt die Effizienzsteigerung entlastend.
Wenn wir von nachhaltigen Sportstätten sprechen, ist damit eine Vielzahl von Teilaspekten gemeint:
- Lebenszykluskosten
- Multifunktionalität
- Bauweisen
- Erneuerung/Rückbau
- identitätsstiftende Gestaltung
- Barrierefreiheit
- kooperative Planungsprozesse
- Stadtteilintegration
- Verkehrseinbindung
- graue Energiebilanzen
- Nutzung erneuerbarer Energien
- Klima-/Biotopschutz
- Klimaanpassungsoptionen
Sportstätten nachhaltig zu gestalten bedeutet also, sie in einem umfassenden Kontext und als Teil der dynamischen Lebenswelt ihrer Nutzer*innen zu begreifen. Daraus ergeben sich für uns folgende Forderungen
- Jede neu geplante Sportstätte ist grundsätzlich als multifunktionaler Bewegungsraum zu verstehen, im Zuge einer Sanierung sind etwaige Nutzungsöffnungen zu berücksichtigen, um auch die Bedarfe künftiger Generationen im Blick zu behalten
- Jede bestehende Sportstätte ist nach Möglichkeit energetisch auf ein besseres Effizienzniveau zu bringen und erneuerbare Energieträger sind einzusetzen, sobald die Sportstätte instandgesetzt werden soll
- Jede Sportstätte, ob neu oder im Bestand, ist nach Kriterien der Inklusion und nach den Anforderungen von Menschen mit Behinderung, sowohl auf Seiten der aktiven Sportler*innen als auch auf Seiten der Zuschauenden zu ertüchtigen
- Kunstrasenbeläge sind ohne Kunststoff-Infill zu bauen, zudem muss die vollständige Recyclingfähigkeit gewährleistet und vertraglich festgehalten werden.
- Sportstätten sind so zu errichten, dass sie auch extremen Wettereinflüssen infolge des Klimawandels standhalten und möglichstauch selbst als Bestandteil von Biotopschutz und Klimaanpassungsmethoden dienen
- Sportstätten bieten Sporttreibenden eine Identifizierungsmöglichkeit und einen geschützten Raum für Bewegung; das soll sich auch in ihrer Bauweise und in ihrer geographischen Verortung widerspiegeln.
Entwicklung in Stadt und Land durch Sport
Grünflächen als Orte für Freizeit und Bewegung genauso wie klassische Sportflächen drohen durch Lärm-und Lichtschutzbedenken, falsche Mobilitätskonzepte und Missverständnisse bei der Gestaltung öffentlicher Räume an den Rand gedrängt zu werden –und das buchstäblich. Zwar ist es in allen Kommunen üblich, Schulen zu planen, wenn Wohnhäuser errichtet werden. Dass mit den Schulen aber auch Menschen Orte für sich entdecken und gestalten wollen, scheint aus dem Blick geraten zu sein. Im Gegenzug liegen ungenutzte Flächen brach, sowohl überdacht als auch ungedeckt, weil sie einer anderen Verwaltungseinheit der öffentlichen Hand unterstehen oder weil andere Interessen dem entgegenstehen. Für ein gelungenes Zusammenleben, für einen urbanen Raum mit aktiven Menschen und einem Stadtbild, in dem grüne Infrastruktur genutzt werden kann, ist es daher notwendig, Sport und Bewegung als Teil der Stadtentwicklung zu denken.Auch im ländlichen Raum sind etwa Verkehrskonzepte notwendig, die auch den Weg zum Sport nachhaltiger gestalten und das Auto überflüssig machen, genauso wie das Nutzen von Synergieeffekten im Vereinsleben, wenn es statt zweier halbherziger Fußball-Kunststoffrasenplätze ein Vereinszentrum gibt, das mehrere Sportarten umfasst und auch dadurch generationenübergreifend inklusiv gestaltet sein kann.
Wir fordern daher:- Sportstätten nicht nur fürden Schulbedarf planen, sondern auch für den Sport aller Menschen vor Ort zu errichten
- Bei Sport und Bewegung auch den Bildungsaspekt stärker zu berücksichtigen, d.h.
- Auch im Kontext Schule stärker in einer sportartenadäquate zu investieren
- BNE in Fortbildungsmaßnahmenfür die Arbeit im Verein zu implementieren und Anreize durch Förderinstrumente zu schaffen
- Für neue Stadtquartiere Grünflächen zu planen, die mindestens 30% der zur Verfügung stehenden Grundfläche umfassen und die für Sport und Bewegung geeignet sind
- Vereine durch Bundes-, Landes-und kommunale Programme für ihre Beteiligung an der Quartiersentwicklung zu fördern
- Grundsätzlich im öffentlichen Raum inklusiv zu bauen, damit sich jeder Mensch ungehindert bewegen und der öffentliche Raum von allen Menschen in gleicher Weise genutzt werden kann.
- Ungenutzte Flächen der öffentlichen Handfür Sport und Bewegung nutzbar zu machen, indem sie in kommunale Sportentwicklungsplanungen aufgenommen werden
- In jeder Kommune und in jedem Landkreis Verkehrskonzepte zu erstellen, in denen Fußgänger*innen und der Radverkehr Vorrang haben und in denen der öffentliche Personennahverkehr Autos vorgezogen wird.
- Synergieeffekte zu nutzen und Sportstätten als Teil der Daseinsvorsorge zu begreifen, die auch als soziale Infrastruktur funktioniert, im ländlichen wie städtischen Raum,
- den Grad der Flächenversiegelungauch beim Bau von Sportstätten auf einem möglichst niedrigem Niveau zu halten.
Artenvielfalt: Wie schafft der Sport Platz für Pflanzen und Tiere?
Für eine Empathie mit der Natur braucht es oft die Begegnung mit ihr. In diesem Sinne verhilft Sport in der Natur dazu, dass Sportler*innen sich sowohl der schützenswerten Schönheit und Vielfalt der Natur wie auch ihrer bedauernswerten Schäden bewusst werden.
Eine hochfrequente sportliche Nutzung von naturnahen Sportstätten wie Skihängen, Gewässern sowie Rad-, Kletter-und Wanderwegen kann aber auch Ursache von Schäden in der Natur sein. Daher sollte bei jeder Sportnutzung eine Abwägung angesichts der Verträglichkeit mit der lokalen Flora und Fauna gemacht werden. Als sinnvoll erachten wir dabei einen Dreischritt aus Vermeidung, Minimierung und Kompensation. Naturschützer*innen und Sportler*innenteilen grundsätzlich das Ziel, die Natur zu schonen und zu pflegen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Viele Beispiele zeigen, dass Sportler*innen Verantwortung für naturnahe Flächen entwickeln und als Partner*innen im Umwelt-und Naturschutz handeln. Diese Verantwortung führt in der Regel auch zu der Frage, wie sich die Biodiversität der Sportflächen erhalten oder sogar steigern lässt.
Vermeidung
- Gewässer sollten zu Brutzeiten nicht in sensiblen Bereichen sportlich genutzt werden
- Fischarten sollten in Schonzeiten nicht befischt werden dürfen
- Auch im Gebirge und im Wald sollte es eine Ausweitung von Naturschutzgebieten geben, damit eine intensive sportliche Nutzung an anderen, geeigneten Orten gewährleistet ist
- Die Verwendung und damit der Eintrag schädlicher Kunststoffe in Natur und Umwelt durch den Sport sollen möglichst vermieden werden
- insbesondere durch Abrieb und Granulate von Kunststoffsportböden entsteht eine Belastung, die für die Natur nicht tragbar ist.
Minimierung
- Wandersportler*innen, (Alpin-)Kletterer*innen und Mountainbiker*innen sollen sich weiterhin in der Natur bewegen – allerdings sollten Besucher*innenströme und die Anzahl der Besuche stärker gesteuert werden, vor allem während sensibler Zeiten im Jahr
- Der ökologische Impact des Skisports ist in Anbetracht des Klimawandels und der Übernutzung zu groß geworden – für die Renaturierung von Gebirgsflächen braucht es eine deutliche Reduzierung vor allem des Skitourismus-Künstliche Beschneiung und auch Kunsteis sind auf ein Mindestmaß zu reduzie-ren.
Kompensation
- Naturnahe, für alle nutzbare Räume sollten mit jeder Bebauung einhergehen
- Blühstreifen und Insektenhotels sind niedrigschwellige Maßnahmen, die auch der örtliche Sportverein umsetzen kann – hier gibt es schon einige gute Ansätze und Kooperationen, die Teil der Umweltbildung sind und die ausgeweitet werden-Sand-und Brachflächen sind wichtige Reviere für eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen – sie gilt es ebenfalls vorzuhalten.
Nachhaltige Sportartikel: Wie können wir beim Sport faire Produkte nutzen?
Der Materialumsatz im Breiten-wie im Spitzensport hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Während man früher ein Shirt für alle Sportarten nutzte, suggeriert die klassische Sportindustrie den Sportler*innen heute, nur maximale Spezialisierung führe zum gewünschten Erfolg. Und natürlich braucht es für jede Saison die neuesten technischen Innovationen und modischen Trends. Fast Fashion hat sich auch im Sport durchgesetzt. Es ist Zeit, auch hier umzudenken!
Wir wollen die Chance nutzen, die vielen Multiplikator*innen im Sport für eine Trendwende zu begeistern! Zahlreiche Hersteller setzen bereits ganz oder teilweise auf nachhaltige Produktion. Ob Funktionsbekleidung aus im Meer gefischten Plastikmüll, antibakterielle Shirts aus nachhaltigem Wolle-Seide-Gemisch, innovative Textilfasern aus Holz, Hanf, Bambus oder vegane, fair produzierte Laufschuhe – für eine Vielzahl von geläufigen Sportarten wie Laufen, Tennis oder Fußball findet sich bereits eine breite Palette nachhaltiger Produkte. Und auch konventionelle Marken stellen Teile ihrer Produktion nach und nach um –wenn auch vor allem dem Trend zu mehr Nachhaltigkeit folgend denn als Trendsetter.
Wir wollen die Sportler*innen begeistern für nachhaltig produzierte Sportartikel und fordern Sportorganisationen auf, sich deutlich öfter für die nachhaltige Variante eines Produkts zu entscheiden. Denn ressourcenschonend heißt auch langlebig – manche Hersteller werben mit einer Lebensdauer ihrer Produkte bis zu 25 Jahren oder auch einem lebenslangen Reparaturservice. Vom fairen Fußball bis zur Finishermedaille aus nachhaltiger Forstwirtschaft –auf nahezu jeder Ebene kann tonnenweise CO2 eingespart werden und auf eine faire Produktions- und Lieferkette zurückgegriffen werden.
Auf allen Ebenen werden wir dazu Maßnahmen ergreifen:
1. Politische Rahmenbedingungen:
- Transparenz: Für die Sportler*innen und Vereine muss klar ersichtlich sein, welche Folgen der Kauf eines Sportprodukts hat. Durch verpflichtende Auszeichnung des CO2-Fussabdrucks zum Beispiel fällt die Entscheidung für ein nachhaltiges Produkt leichter. Ebenso soll die Nutzung bereits bestehender Zertifikate (Fair Wear Foundation, Bluesign Standard, GOTS) auch für kleine Labels vereinfacht werden.
- Verbindliche fair-ökologische Lieferkette: Das Lieferkettengesetz braucht verbindlichere Regeln, diese wollen wir auf deutscher wie europäischer Ebene deutlich verschärfen.
- Kommunikation: Auf allen Ebenen von der Kaderförderung bis zum Breitensport, dort insbesondere im Jugendbereich, wird der Einsatz fairer, ökologischer Sportartikel durch Informationskampagnen und Positivlisten bei Ausschreibungen propagiert.
2. Anreize für die Wirtschaft:
- Steuererleichterungen für Unternehmen, die einen überwiegenden Anteil der Vorprodukte und Rohstoffe aus fairer, ökologischer Produktion beziehen
- Recycling: Prämien für Innovationen, die einen CO2-neutralen Wirtschaftskreislauf von Sportbekleidung ermöglichen.
3. In der Sportförderung:
- Bundesligisten und Kaderathlet*innen werden verstärkt als Testimonial für fair-ökologische Produkte eingesetzt – sie dienen insbesondere der Jugend als Vorbild.
- Vereine beim Einsatz fair-ökologisch hergestellter Produkte mit Förderprogrammen auf Landesebene unterstützen.
- Sportvereine beim Recycling und der Wiederverwendung alter Trikots durch zentrale Sammlungen unterstützen (z. B. Beflockung entfernen, waschen, in Entwicklungsländer spenden).
Weiterführende Links:
Kriterienkatalog des Berliner Netzwerks „Sport & Inklusion“: https://lsb-berlin.net/fileadmin/redaktion/img/integration_und_Inklusion/2019_Kriterienkatalog_fu__r_inklusiv_nutzbare_Sportsta__tten.pdf
DOSB-Übersicht über Fördermöglichkeiten für Sportstätten: https://cdn.dosb.de/user_upload/Sportstaetten-Umwelt/2020-08-29_DOSB_Foerderprogramme-Sport_A3.pdf
Klimaanpassung im Sport: https://www.lustaufbesserleben.de/wp-content/uploads/2020/07/2020-07-01-Whitepaper-KlimASport.pdf
BMU-Papier zu Nachhaltigkeit im Sport: https://www.bmu.de/themen/wirtschaft-produkte-ressourcen-tourismus/tourismus-sport/beirat-fuer-umwelt-und-sport/ DOSB-Faktenpapier zu Kunststoffrasen: https://cdn.dosb.de/user_upload/Sportstaetten-Umwelt/DOSB_BISp__Faktenpapier_Fuellstoffe_in_Kunststoffrasen_.pdf Autor*innen (Koordinationsteam + Arbeitsteam): Nina Wellenreuther, Landesverband Baden-Württemberg David Kozlowski, Landesverband Berlin Nicole Ludwig, Landesverband Berlin Mira Pape, Landesverband Niedersachsen Anne Kowatsch, Landesverband Baden-Württemberg Gordon Schnepel, Landesverband Niedersachsen Johannes Verch, Landesverband Berlin Julius Walther, Landesverband Bremen PDF zum Download: 201212 B90Gr BAG Sportpolitik PP Nachhaltigkeit im Sport final
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